QualityLand - Marc-Uwe Kling

Niemand hilft uns, Niemand hört mir zu, Niemand trifft für mich alle wichtigen Entscheidungen im Leben, Niemand spricht mit mir und Niemand mag mich. Niemand? Das ist der Name meines WIN Assistenten. Also quasi „What I Need“, denn in der heutigen Zeit wird nur noch mit Abkürzungen gesprochen. Niemand ist mein kleiner Ohrwurm, der kleine Miniroboter, der in meinem Gehörgang sitzt und mir alle wichtigen Entscheidungen abnimmt.

 

So weit so gut, Nachdenken muss ich nun also nicht mehr, denn die Antworten auf jegliche Fragen beantwortet mir ja Niemand. Ziel der Ohrwürmer und der gesamten Welt in QualityLand ist es, nach besserem zu streben und auch immer besser zu werden, also richtige Qualitätsmenschen zu erschaffen.

Nur was ist das Beste für mich und wer bestimmt das? Ach stimmt, dafür hab ich ja Niemand. Fremdgesteuert zu werden ist schon was Schönes, denn Gedanken zu machen über…ja über was? Naja eigentlich auch egal, denn das übernehmen ja andere für mich.

 

Super ist auch, dass man die Partner vorgeschlagen bekommt, die perfekt zu einem passen. Da sowieso alle Menschen in Level eingeteilt sind, ist das natürlich super praktisch, denn so brauch ich mich nicht mit minderwertigen Menschen abzugeben, die unter Level 10 sind. Das sind nämlich die Nutzlosen.

 

Genau wie Peter Arbeitsloser. Arbeitsloser, weil in QualityLand die Männer den Beruf ihres Vaters als Nachnamen tragen und die Frauen den ihrer Mutter. Praktisch, so kann man natürlich aufgrund seiner Herkunft sofort eingestuft werden. Peter ist zwar nicht arbeitslos, aber egal. In QualiyLand bestimmt nämlich die Herkunft, was aus mir wird und ob überhaupt. So sitzen also Gewalttätige im Parlament und andere sind sowieso perspektivlos aufgrund ihrer Herkunft.

Peter Arbeitsloser bekommt auch somit nur die Nachrichten und Infos, die auf ihn zugeschnitten sind. So glaubt er also nutzlos und wertlos zu sein. Wie soll er das Ganze auch in Frage stellen?

 

Bestimmte Informationen sind Besitz. (E.A. Rauter – Wie eine Meinung in einem Kopf entsteht, Seite 17) Das bedeutet meiner Meinung nach, dass ich von Informationen nicht wissen kann, die mir vorenthalten werden. Denn nach was soll ich denn dann Fragen, wenn ich überhaupt nicht weiß, dass es gewisse Informationen, Nachrichten und verschiedene Weltanschauungen gibt? Genau dies passiert hier in diesem Buch.

Das Weltbild von „Nutzlosen“ und z.B. Rassisten wird nicht mehr in Frage gestellt, vielmehr konstant bestätigt, dank der passenden Nachrichtenselektion und der Freunde, die genau die gleichen Interessen haben und eins zu eins mit meiner Einstellung übereinstimmen. Ihr erinnert euch, Freunde und Partner werden ja von unseren Assistenten ausgesucht. So bleibt auch jede Gruppe schön unter sich. Was sollen denn auch Level 80 Menschen mit Nutzlosen oder Menschen mit Level 20 anfangen? Das ist ja kaum vorstellbar. Hier sollte man sich die Frage stellen: Wer will, dass ich was glaube und warum?

Die Menschen werden sowieso bald überflüssig sein, denn inzwischen wurden die Arbeitsplätze durch Androiden, also Maschinen ersetzt, denn Fehler machen diese nicht.

In QualityLand stehen die Wahlen an. Es wurde nämlich genau errechnet, wann die aktuelle Präsidentin stirbt. „John of us“ ist ein solcher Androide und tritt für die Fortschrittspartei in der Wahl an. Es wird überlegt, ob man die Wahlbeteiligung und das Ergebnis überhaupt bekannt gibt. Denn bei der Wahl bekommt ja sowieso jeder die passende Partei vorgeschlagen, bei der man sein Zeichen digital setzen soll. Viel Auswahl bleibt da nicht, denn in QualityLand lautet die Antwort auf alle Fragen: Ok.

 

Klicks machen Beförderungen, Benotungen gibt es in der Schule in den Fächern Body Mass Index und Sexappeal (What? Macht Euch mal Gedanken darüber, was das in den Köpfen junger Mädchen bewirkt), man braucht nichts mehr zu bestellen, denn die unbewussten Wünsche werden den Menschen durch Drohnen zugestellt. Geschichtsunterricht wird gegen Zukunftsunterricht ersetzt, Menschen werden anhand eines Punktesystems bewertet, der gläserne Mensch ist also erschaffen.

Man kann sich also entscheiden, ob man so leben möchte oder nicht. Nur ist das wirklich so? Durchschaut eigentlich irgendjemand diese perverse Welt, in der Menschen in Schubladen gesteckt werden, man von einer selbsterfüllenden Prophezeiung reden kann und die Konzerne die Macht über alle Menschen haben?

Peter Arbeitsloser beginnt an der Welt in QualityLand zu zweifeln, als er Kiki kennenlernt und der Tatsache, dass er einen pinken Delfinvibrator zugesandt bekommt, den er sich wohl unterbewusst gewünscht hat. Aber hat er das wirklich?

Mit seiner Armee an Androiden, die er eigentlich verschrotten sollte und mit Kiki macht er sich auf den Weg, um sich gegen das System aufzulehnen, das er mittlerweile als völligen Irrsinn begreift.

 

Doch wie will er das schaffen, wo doch all seine Schritte beobachtet und kontrolliert werden?

Marc-Uwe Kling hat ein wirklich tolles Buch erschaffen, was die Probleme der heutigen Gesellschaft aufgreift und sich damit kritisch auseinander setzt. Die satirische Schreibweise lässt keine Langeweile aufkommen, man muss sich allerdings bewusst darüber sein, dass das Buch nicht zum Lesen und in den Schrank stellen ist. Vielmehr sollte man sich mit der Gesellschaftskritik, die der Autor übt, auseinander setzen.

Mehr als einmal hab ich mir gedacht „What the F**ck?!“. Ich habe mich gefragt, ob wir bei manchen Themen, die im Buch auch etwas übertrieben dargestellt sind, eigentlich noch so weit weg sind? Und ganz ehrlich? Ich glaube nicht!

Ist es nicht genau so, dass uns suggeriert wird, dass die Medienerstattung neutral und unabhängig ist? Dass Flüchtlinge asozial und sowieso alles Verbrecher sind? Dass Hartz 4 Empfänger nur rauchen und saufen und dabei völlig nutzlos sind? Dass Firmen kein Geld haben, aber im Hintergrund Millionen scheffeln, die durch unsere Arbeitskraft und den Mehrwert, den wir erschaffen, in die Tasche der Unternehmer fließt? Bekommen wir nicht jeden Tag irgendwelche Fakenews in den sozialen Medien angezeigt? Bekomme ich nicht überall im Internet Werbung angezeigt von Dingen, nach denen ich vor kurzem gesucht habe, die ich mir angeblich „unterbewusst wünsche“?

Das sind meiner Meinung nach alles Themen, über die man sich Gedanken machen sollte, wenn man das Buch gelesen und verstanden hat.

Marc-Uwe Kling wirft einen kritischen Blick in die Gesellschaft und behandelt dabei viel mehr Themen, als Industrie 4.0 und die Schwächung der Demokratie.

 

Entscheide selbst was du glaubst, oder lass es bleiben!

 

 

Wenn ich ein Fazit für mich aus dem Buch ziehen sollte, dann fällt mir folgendes Zitat von Otto Brenner ein: „Nicht Ruhe, nicht Unterwürfigkeit gegenüber der Obrigkeit ist die erste Bürgerpflicht, sondern ständige Kritik und demokratische Wachsamkeit.“